RECONQUISTA

  • Reconquista 2/2020 - Im Zeitalter der Gegenaufklärung

     

    Wenn man heute nach den Ursachen für die Erfolge der europäischen Kultur der Neuzeit fragt, so spielt in jeder denkbaren Antwort die geistige Strömung der „Aufklärung“ eine zentrale Rolle. Grund genug zu fragen, was das denn eigentlich für ein Phänomen ist, welches die zivilisatorische Entwicklung in so positiver Weise beeinflußt hat.  Was bedeutet das also, „Aufklärung“? Den meisten wird Kants zeitgenössische Antwort auf diese Frage in den Sinn kommen: Es handelt sich demnach  um „den Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit […]“. Kants Definition ist aus der „Innenperspektive“ formuliert, sie beschreibt einen Prozeß, während er gerade passiert, und zwar in sehr allgemeiner Weise. Wir können heute, im Rückblick sozusagen, sehr viel genauer und konkreter formulieren, was Aufklärung ist und auf welche Weise sie die abendländische Kultur beeinflusst hat. Von entscheidender Bedeutung waren die  folgenden Teilaspekte:

    1.     Der Perspektivwechsel von einer subjektiven, anthropozentrischen und anthropomorphen Betrachtungsweise hin zu einem objektivierenden Blick auf die Welt aus einer Perspektive der „Dritten Person“1,

    2.     Die Abkehr von einer intuitiven „esoterischen“ Naturauffassung, die die Welt durch das Wirken vorgestellter, übermächtiger Persönlichkeiten erklären will und die Hinwendung zu einer rationalen, kausal ausgerichteten wissenschaftlichen Betrachtungsweise.

    3.     Das Rationalisieren aller Fragestellungen führte in der Folge auch zu einer Veränderung der politischen Ordnung. Die traditionelle Begründung der Vorrechte für Adel und Klerus durch „Gottes Gnade“ genügte den neuen Ansprüchen nicht mehr, die Folge waren weitreichende gesellschaftliche Umwälzungen, die auf die Freiheit und Selbstbestimmung des einzelnen Individuums, später auch auf „Gleichheit“ zielten.

    Der dritte Aspekt war lediglich eine Folge der ersten beiden und gehörte ursprünglich nicht zum Spektrum der Bewegung. Diese „politische Variante“ der Aufklärung hat die gesellschaftlichen Verhältnisse auf dramatische Weise verändert, sie hat progressive und destruktive Kräfte gleichermaßen freigesetzt und verdient daher ebenfalls eine genaue Betrachtung. Sie steht aber in der Kausalkette nicht am Anfang, und ist daher nicht als Ursache des neuzeitlichen Wiederaufstiegs der europäischen Hochkultur zu betrachten.
    Es liegt also nahe anzunehmen, daß die Objektivierung und Rationalisierung der Welt-Anschauung jene Initialzündung gewesen ist, die die Entwicklung der europäischen Kultur zur geistigen Weltmacht eingeleitet hat. Aus diesen Anfängen hat sich seit dem 18. Jahrhundert allmählich ein grundlegend neues, wissenschaftliches Denken entwickelt, das erst in der Formulierung der Methoden einer modernen, empirischen Naturwissenschaft im 20. Jahrhundert seinen vorläufigen Abschluß- und Höhepunkt gefunden hat. Man muß nicht besonders weise sein um zu erkennen, daß die europäische Zivilisation ihren Höhepunkt überschritten hat – doch auch wenn die Anzeichen des Niedergangs auf allen Ebenen immer weniger zu leugnen sind, so gibt es im allgemeinen Trend zur Degeneration, verursacht durch die Relativierung, Subjektivierung und Entrationalisierung aller gesellschaftlichen Diskurse, immer noch Anzeichen für eine Höherentwicklung: Nach wie vor gelingt es den wissenschaftlichen Institutionen durch das sture Anwenden der einmal gewonnenen Methoden, neue Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen, so daß zumindest der technische Fortschritt weitergeht. Schon ist auch die Naturwissenschaft vom Virus der gesellschaftlichen und politischen, gegenaufklärerischen Tendenzen erfaßt und korrumpiert – wir werden das an einigen Beispielen deutlich machen. Sobald aber der Prozeß der Korrumpierung abgeschlossen ist, kommt unweigerlich und unabwendbar das Ende. Wir kehren dann zurück in ein „Mittelalter“, zunächst geistig – und anschließend und sehr kurzfristig auch zivilisatorisch. Von diesem Mittelalter sind wir heute, unbemerkt von den meisten Menschen, nicht mehr weit entfernt. Wir wollen versuchen das zu verstehen, indem wir uns mit jenen Errungenschaften befassen, denen wir unseren Aufstieg verdanken, dem geistigen Weltkulturerbe der europäischen Zivilisation schlechthin: den Methoden unserer modernen Naturwissenschaft.

    Fassen wir sie kurz zusammen: Wir haben bereits erörtert, daß Rationalisierung und Entsubjektivierung die Anfangsbedingungen waren, die den Prozeß in Gang brachten. Die Intuition sagt uns, daß wir selbst das Maß aller Dinge sind, als Individuum ebenso wie als Angehöriger der Spezies Homo Sapiens. Es liegt daher nahe, uns selbst ins Zentrum der Welt zu stellen und ihr einen Sinn zu geben, der aus der menschlichen Existenz abgeleitet ist. Der Durchbruch, die Überwindung dieser Sichtweise gelang erst durch einen Vorgang, der sich am besten als „Objektivierung“ bezeichnen läßt: durch das Einnehmen einer distanzierten Perspektive, die es uns erlaubt, „von außen“ auf uns und auf die von uns erlebte Welt zu blicken. Das bekannteste Beispiel eines solchen Perspektivwechsels ist die „kopernikanische Wende“. Indem wir den Anspruch aufgeben, selbst im Mittelpunkt der Welt zu stehen, gelingt es uns, die Gesetzmäßigkeiten zu verstehen, nach denen nicht nur die Erde, sondern auch alle anderen Planeten sich um die Sonne drehen; ja darüberhinaus verstehen wir sogar, daß überall im Weltall dieselben Gesetze wirksam sind, daß wir umgeben sind von Sonnen und Planeten, die wir nicht beobachten können und die dennoch überall dasselbe tun. Wir können nun durch Ausweitung dieser Methode auf alle anderen Bereiche allgemeingültige Natur-Gesetze formulieren und uns selbst aus dem Spiel nehmen. Wir erkennen dann, daß „Sinn“ gar keine Kategorie der objektiven Natur ist, sondern ein subjektives Deutungsmuster, das lediglich in der menschlichen Sphäre ihre Berechtigung hat.
    Ein zweiter Meilenstein war die daraus abgeleitete Forderung nach Ergebnisoffenheit wissenschaftlicher Erkenntnis. Wir suchen nicht mehr nach dem Ergebnis, das wir uns heimlich wünschen, sondern in den Vordergrund tritt der Wunsch zu wissen, was wirklich ist – auch, wenn uns das Ergebnis nicht gefällt. Eine Forschung, die nur darauf zielt, Ergebnisse in einem bestimmten moralischen Korridor zu generieren, genügt den wissenschaftlichen Ansprüchen also nicht. Ein dritter war die Erkenntnis, daß Erfahrungen und Beobachtungen zuverlässigere Schlüsse erlauben als die Ergebnisse menschlicher Überlegungen – wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von empirischer Wissenschaft. Zu oft hatte das sture Addieren logischer Schlüsse Ideengebäude hervorgebracht, die sich von der realen Natur immer weiter entfernten und schließlich ihre eigene, geistige Realität erzeugten, eine selbstreferentielle Matrix, die abseits der gültigen Naturgesetze ein Eigenleben führt – wir sprechen in diesem Zusammenhang in der politischen Sphäre auch von Ideologien.

    Wir leben in einer Zeit, in der all diese Errungenschaften moderner Naturwissenschaft durch den Aufstieg neoliberaler und neomarxistischer Ideologie zur Disposition stehen und durch esoterische, irrationale und emotionsgesteuerte - kurz: antiaufklärerische Impulse ersetzt werden. Das menschliche Individuum mit seinen subjektiven emotionalen Bedürfnissen wird gegenwärtig wieder zum Maß der Dinge, an dem alle anderen Belange sich auszurichten haben. Was sich richtig anfühlt, ist in dieser Sichtweise auch richtig – und zwar auch dann, wenn es den Erkenntnissen empirischer Naturwissenschaft widerspricht. Legitim ist das allerdings, eingehegt durch Tabus und „Toxizität“ im Rahmen „politischer Korrektheit“, nur für bestimmte Gefühle eines ganz bestimmten, problematischen Menschentyps, der sich in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen festgesetzt hat. Andere Gefühle dagegen, die des typischen gesunden, selbstbewußten weißen Mannes, sind geächtet. Diese Entwicklung beruft sich paradoxerweise auf die Aufklärung, nämlich auf jenen abgeleiteten, also sekundären Aspekt, jene gesellschaftliche Umwälzung, die ja lediglich die Folge aufklärerischen Denkens im eigentlichen Sinne war. Sie spiegelt sich zunächst in der Wandlung zeitgenössischer Geisteswissenschaft, die seit den 60er Jahren zunehmend durch utopische Ideologien, die Ablehnung der Vorstellung einer Existenz objektiver Wahrheit und die Betonung von Gefühlen geprägt ist. In ihrem definierten Selbstverständnis beruft sie sich nach wie vor auf die Ideale der empirischen Naturwissenschaft – die real-existierende Geisteswissenschaft setzt jedoch den politischen  Aktivismus an die Stelle der traditionellen wissenschaftlichen Wahrheitssuche. Wir wollen das an einigen Beispielen verdeutlichen:
    Das neomarxistisch inspirierte Bild vom Menschen folgt dem Ideal der „Gleichheit“, und zwar in etwa dem folgenden Gedanken: „Es wäre doch schön, wenn alle Menschen gleich wären, denn alle Ungerechtigkeit resultiert aus Ungleichheit“. Diese Gefühlsregung einiger weniger, linker Vordenker und ihrer Gefolgsleute ist zum Leitfaden für die Suche nach geisteswissenschaftlicher Erkenntnis geworden. In den 60er-Jahren wurde daher eine Disziplin der Verhaltensforschung, der sogenannte Behaviourismus, sehr populär. Seine Grundaussage ist in etwa die: Genetische Zusammensetzung ist allenfalls für die Ausprägung äußerlicher Merkmale relevant, der Mensch ist bei seiner Geburt geistig und psychisch gleich veranlagt und entwickelt sich allein durch das Einwirken von Umwelteinflüssen. Viele Jahre lang galt der Behaviourismus in der öffentlichen Diskussion als das Maß der Dinge, aus naturwissenschaftlicher Sicht ist er durch die evolutionäre Verhaltensforschung widerlegt. Das Erstaunliche ist nun, daß das für das Menschenbild der modernen Geisteswissenschaft praktisch keine Folgen gehabt hat, im Gegenteil: Die Vorstellung, daß alle Menschen auf der Erde, egal woher sie kommen, gleich veranlagt sind, treibt bis heute immer neue Blüten und resultiert in immer absurderen politischen Forderungen. Da spielt es keine Rolle, daß die empirische Naturwissenschaft Unterschiede im durchschnittlichen Intelligenzquotienten verschiedener Welt-Populationen von mehr als 50 Punkten aufzeigt; auch der unterschiedliche Entwicklungsstand der Weltkulturen ist von geringem Belang, und auch die massiven Probleme, die Einwanderer in westlichen Gesellschaften verursachen werden nicht thematisiert. Solche Tatsachen werden nicht nur ignoriert, sondern sie werden auch mit Tabus belegt; Wissenschaftler, die ergebnisoffen forschen, werden ausgegrenzt oder sanktioniert. Das Resultat ist eine Gesinnungswissenschaft, die von emotionalen Bedürfnissen geleitet wird, und deren Ergebnisse im Prinzip schon vorher feststehen – an die „Wissenschaftler“ ergeht nur noch der Auftrag, sie zu bestätigen. Ein extremes Beispiel, das dennoch charakteristisch ist für einen ganzen Berufsstand, ist die sogenannte Politische Wissenschaft. Deren realexistierende Ausrichtung läßt sich am besten so beschreiben: „Die Demokratie ist die beste politische Ordnung, die es jemals auf der Erde gegeben hat. Zeigen Sie, warum das so ist.“ Wir erkennen sofort, daß das gegen das Ideal der Ergebnisoffenheit verstößt und damit definitionsgemäß gar keine Wissenschaft mehr ist, sondern verwissenschaftlichte Ideologie. Es wird ein Ziel definiert und dann immer wieder eine möglichst einleuchtende Scheinkausalität konstruiert, um zu suggerieren, daß die erste Annahme richtig war.

    Die Gehirnforschung ist eine empirische Naturwissenschaft, der wir atemberaubende Erkenntnisse verdanken und die unser Menschenbild vom Kopf auf die Füße stellt. Sie wird von der Geisteswissenschaft ignoriert oder bekämpft – denn die Ergebnisse entsprechen nicht der neomarxistischen Erwartungshaltung. Die Reaktion auf die Ergebnisse der Hirnforschung ist ein besonders gutes Exempel für die Substanzlosigkeit gesellschaftlicher Gegenwartsdiskurse. Denn die Erkenntnis, daß es keinen freien Willen gibt, widerlegt unmittelbar das zentrale Dogma linker und liberaler Weltanschauung, die autonome Entscheidungsfähigkeit des freien Individuums. Führt das zu einer Krise der herrschenden Klasse? Werden zentrale Werte der Leitideologie in Frage gestellt? Keineswegs. Unser Gehirn und unsere Denkstrukturen unterscheiden sich wenig von denjenigen anderer (Säuge-)Tiere, der freie Wille ist nur eine Illusion. Das ist dem links-modern denkenden Menschen einfach unerträglich, und da er sich nur emotional-subjektiv artikulieren kann, haben solche Erkenntnisse auch keine Folgen: Man diskutiert sie in naturwissenschaftlichen Kreisen, im öffentlichen Diskurs spielen sie keine Rolle. Im Gegenteil: der läuft so, als hätten die Neurologen gerade das Gegenteil herausgefunden.
    Für Ergebnisse zeitgenössischer Forschung ist also ein enger Rahmen gespannt, sofern man nicht ignoriert, im schlimmsten Falle sogar gesellschaftlich geächtet werden will. Die wichtigste Maxime, der man heute zu folgen hat, um diesen Rahmen nicht zu verfehlen, ist der Antifaschismus. Er sagt uns, welches Ergebnis Forschung auf keinen Fall haben darf. Auch hier bildet wieder eine emotionale Grundhaltung den Ausgangspunkt, der sich am besten so formulieren läßt: „Wenn diese oder jene Erkenntnis das Ergebnis meiner Forschung wäre, dann hätte Hitler – alternativ – dann hätten die Nazis ja Recht gehabt. Das aber wäre völlig unerträglich!“ Eine allgemeinere, alternative Formulierung wäre: „Dieses oder jenes Ergebnis hätte Hitler gefallen. Also muß das Gegenteil richtig sein.“

    Nun ist es aber – zumindest erkenntnistheoretisch – nicht auszuschließen, daß Hitler auch mal Recht gehabt hat, und in all diesen Fällen kommt eine solchermaßen ausgerichtete Gesinnungswissenschaft zwangsläufig zu falschen Ergebnissen. Auch die Naturwissenschaft, und das erweist sich als besonders fatal, steht immer mehr unter dem Druck, die politisch gewünschten Ergebnisse zu liefern und gerät so ins abschüssige Fahrwasser der Geisteswissenschaften. Wie wir sehen, wird das linke oder liberale Grundgefühl zur treibenden Kraft gegenwarts-wissenschaftlicher Erkenntnis. So lautet das passende Grundgefühl der Anthropologie in etwa: „Es wäre wünschenswert, wenn sich der Mensch zuerst im subsaharischen Afrika entwickelt hätte – dann würden alle Menschen von Afrikanern abstammen und wären sich zwangsläufig recht ähnlich (und das würde den Nazis nicht gefallen)“. Folgerichtig wird seit Jahrzehnten die sogenannte „out-of-Africa“-Theorie vertreten, nach der sich sowohl der aufrechte Gang als auch der moderne Mensch evolutionär im schwarzen Kontinent entwickelt haben. Aktuelle Untersuchungen aus Bayern und Griechenland zeigen aber nun, daß europäische Vormenschen schon Millionen Jahre früher aufrecht gingen als die Afrikaner, und auch der subsaharische Ursprung des modernen Menschen ist angesichts neuerer Funde fragwürdig geworden. Fieberhaft wird an neuen Konstrukten gearbeitet, die es ermöglichen sollen, die Geschichte von der afrikanischen Herkunft auch in Zukunft aufrechtzuerhalten – so soll sich der aufrechte Gang nun zweimal unabhängig voneinander entwickelt haben, einmal in Europa, einmal in Afrika.
    Als James Watson, Nobelpreisträger für Medizin, in einer Rede unter Hinweis auf entsprechende Testergebnisse Andeutungen über die ausgeprägte Libido und niedrigere Intelligenz von Schwarzafrikanern machte, wurde er von seiner Universität aller Ämter enthoben. Empirische Tatsachen zählen nicht, entscheidend für den wissenschaftlichen Erfolg ist allein die richtige politische Gesinnung. Kurze Zeit später sah er sich gezwungen, seine Nobelpreismedaille wegen finanzieller Probleme beim Auktionshaus Christie’s in New York zu versteigern – ein in der Geschichte der Nobelpreise bislang einmaliger Vorgang.
    Ein weiteres prominentes Beispiel liefert die junge Disziplin der Archäogenetik, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, aus der genetischen Untersuchung sehr alter Funde die Vorgeschichte zu rekonstruieren. „Warum findet sich in allen Endrundenteilnehmern des olympischen Hundertmeterlaufs seit 1890 Erbgut aus Westafrika?“, fragte schüchtern der Genetiker David Reich. Und er ergänzte in einem Editorial mit dem Titel „Wie die Genetik unser Verständnis von Rasse verändert“: „Ich mache mir Sorgen, daß wohlmeinende Leute, die die Möglichkeit von biologischen Unterschieden zwischen Populationen bestreiten, sich in einer Position eingraben, die sich gegen den Ansturm der Wissenschaft nicht verteidigen läßt.“ Damit brach ein Sturm der Entrüstung los. Obwohl er sich durch seine Formulierung als Vertreter des linken Mainstreams zu erkennen gab, wurde er von Kollegen und Medien hart angegangen, weil er gewissermaßen dem Ideal wissenschaftlicher Ergebnisoffenheit höheren Wert zugesprochen hatte, als dem vorherrschenden linken Grundgefühl. Um solche Mißverständnisse gar nicht erst entstehen zu lassen, schreibt der Genetiker Johannes Krause schon im Vorwort seines Buches „Die Reise unserer Gene“ in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der herrschenden Ideologie, Europa sei als eine sich über Jahrtausende erstrekkende Fortschrittsgeschichte zu verstehen, „die ohne die Migration und Mobilität von Menschen unmöglich gewesen wäre.“ Und weiter: „Am liebsten wäre es den Autoren natürlich, wenn sich die Leser ihrem Standpunkt annäherten, daß die seit Jahrtausenden erprobte globale Gesellschaft auch in Zukunft der Schlüssel zum Fortschritt sein wird, auch und vor allem für Europa.“ Nur selten gibt ein Naturwissenschaftler so deutlich zu erkennen, daß er seine Arbeit als Beitrag zur Erfüllung einer politisch-ideologischen Agenda sieht und daß er anstrebt Ergebnisse zu liefern, die den politischen Vorgaben entsprechen.
    Krause ist, wie so viele Kollegen, ein Anhänger der „Steppentheorie“, das heißt, er ist der Ansicht, daß die Indogermanen aus der ukrainischen Steppe nach Europa eingewandert sind. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte insbesondere die Nordhypothese die meisten Anhänger, die eine Urheimat in Skandinavien vermuteten. Doch schon kurze Zeit später erlosch das öffentliche Interesse an der Thematik, und es gab auf diesem Gebiet praktisch keine Veröffentlichung mehr. Erst in jüngerer Zeit rückt die Indogermanenfrage wieder mehr in den Mittelpunkt. Nachdem eine abwegige Anatolien-Hypothese des Engländers Colin Renfrew nicht mehr zu halten war, gibt es jetzt praktisch nur noch Steppentheoretiker. Zwar sprechen nach wie vor viele Fakten für eine Herkunft aus dem Norden – neben zwei russischen Forschern, deren Veröffentlichungen im Westen ignoriert werden, gibt es praktisch keine Anhänger mehr – doch kein westlicher Forscher würde diese Meinung noch vertreten wollen. Denn wir können annehmen, daß eine Herkunft der Indogermanen aus dem Norden auch Hitler gefallen haben würde, und damit scheidet die Nordhypothese aus dem Spektrum möglicher Forschungsergebnisse aus. Eine Forschung, die ihre Ergebnisse schon vorher politisch festlegt, ist aber im eigentlichen Sinne gar keine Wissenschaft mehr. Man könnte die Aufzählung der Beispiele beliebig verlängern, sie erstreckt sich auf fast alle Fachgebiete und betrifft im Zeitalter der Gegenaufklärung alle Bereiche, die politische Fragen berühren. Auch die Naturwissenschaft ist also bereits korrumpiert und blüht lediglich noch dort, wo sie ideologisch unproblematische Fragestellungen untersucht.

    Wir haben zuvor festgestellt, daß ein aus den Ideen der Aufklärung geborenes wissenschaftliches Denken jene Anfangsbedingung gewesen ist, die den geistigen und kulturellen Aufstieg Europas erst ermöglicht hat. Was wir heute beobachten und an zahlreichen Beispielen untersucht haben, ist eine mächtige Gegenbewegung, eine Gegen-Aufklärung, die im Begriff ist, alle Errungenschaften der Neuzeit wieder aufzuzehren. Denn nicht nur der Fortschritt, auch schon die Aufrechterhaltung des Status Quo ist eine gewaltige kulturelle Leistung, die in vielen Bereichen heute schon nicht mehr gelingt. Die aus naivem Gefühl geborene Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen, das Aufgeben des Objektivitätsanspruchs, die Rückbesinnung auf die emotional-subjektive Perspektive des Individuums, der daraus resultierende gesellschaftliche Egoismus – all diese Entwicklungen signalisieren die Rückkehr zu einer archaischen, säkular-esoterischen Weltbetrachtung, die der christlich-religiösen Variante des Mittelalters in keiner Weise überlegen ist. Noch leben wir von der Substanz, noch profitieren die westlichen Gesellschaften von Werten und Tugenden, die sie selbst nicht hervorgebracht haben, die in anderen, besseren Zeiten gewachsen sind und heute verächtlich gemacht oder sogar bekämpft werden. Doch gesellschaftliche und soziale Prozesse sind zäh, die Durchsetzung neuer Werte gelingt meist nur im Rahmen von Generationswechseln, es handelt sich also um sehr langsam verlaufende Wandlungen. Ist der Gipfel erst einmal überschritten, so folgt unweigerlich eine langanhaltende Abwärtsbewegung, die vielerorts immer noch von Gegenströmungen begleitet sein wird. Der Abstieg hat längst begonnen und wird stetig und mit wachsender Dynamik weitergehen – selbst dann, wenn sofort Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Wir haben also wenig Zeit zu verlieren.

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