RECONQUISTA

  • 01-09-23 20:04 Alter: 243 Tage

    Jäger und Bauerntum

    Neue Erkentnnisse zu einem alten Streitfall


    Waren die Germanen ursprünglich zwar wehrhafte aber grundsätzlich friedliche Bauern oder wurde das Germanentum im Wesentlichen durch kriegerische Jägerbünde geprägt?
    An der Beantwortung dieser Frage versuchten sich nicht nur zahlreiche deutsche Historiker im 20. Jahrhundert, sondern die Frage sorgte auch für tiefgreifende Kontroversen, die sich bis in die damalige Politik erstrecken sollten.
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    Streitfall Kummer-Höfler

    Für die Meinung, daß die Germanen ursprünglich friedfertige Bauern waren, die nur in Zeiten äußerer Einflüsse oder Bedrohungen zur Waffe griffen, stand exemplarisch der Forscher Bernhard Kummer, der 1930 sein Werk "Midgards Untergang" veröffentlichte. Der größte Widersacher Kummers war der Begründer der  "Männerbund-Tradition", der Wiener Prähistoriker Otto Höfler.
    Höfler wies in seiner vielbeachteten Studie "Die kultischen Geheimbünde der Germanen" eine lange Traditionslinie sogenannter Männerbünde nach - junge Männer, die sich zu Kampf- und Jagdbünden zusammenschlossen, und bis in den kultischen Bereich hinein wirkten - ihr Gott war Odin / Wotan, der "Führer der Wilden Jagd" und des Totenheeres. Während Kummer diesen Gott und seine Weltanschauung noch als frühmittelalterlichen "Totengräber der ursprünglichen germanischen Religion" bezeichnete, erkannte Höfler eine weiter zurückreichende Tradition dieser Gottheit und seines Kultes.
    Innerhalb des 3. Reiches vermochte sich die Höfler-Linie durchsetzen - paßte sie doch besser zur ideologischen politischen Ausrichtung insbesondere der SS.
    Nun werfen neue Erkenntnisse, die auch durch archäogenetische Forschungen zutage traten, neues Licht auf die alte Kontroverse, ohne bislang Beachtung durch moderne Historiker gefunden zu haben.


     Progressive Bauern - rückschrittliche Jäger?

    Über Zehntausende von Jahren lebten die Menschen als Jäger und Sammler - überall auf der Welt. Vor etwa 12.000 Jahren fingen dann die ersten Menschen an, gezielt Pflanzensamen zu säen und die Früchte zu ernten (Die Anfänge des Getreideanbaus liegen allerdings mehr als 23.000 Jahre zurück: https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article144395334/Schon-vor-23-000-Jahren-wurde-Getreide-gesaet.html) Entgegen der gängigen Darstellungen war die Nutzung von Gartenbau mit alten Getreidesorten auch im Norden bekannt. Dies legen Funde von Holzspaten in Norddeutschland ebenso nahe, wie noch ältere Hacken. Auch ist schon innerhalb der Ertebølle-Kultur mit der Zähmung einiger Haustiere zu rechnen. (Krüger 2023, S. 74). Vor allem die Wildformen von Hafer, Gerste und Emmer eigneten sich für einen gezielten Anbau. Durch diesen Anbau von Getreide verblieben die Menschen an einem Ort , sie wurden seßhaft. Durch die Steigerung der Erträge konnten nun mehr Menschen ernährt werden, die Populationsgröße stieg an. Neben den Anbauflächen entstanden Siedlungen, die kontinuierlich bis zu kleinen Städten anwuchsen.
    Im modernen Verständnis stellte  der beginn des Ackerbaus die Geburt der Zivilisation dar. Lange Zeit wurde die prähistorische  Forschung durch das Dogma geleitet, demzufolge das Jägertum archaisch und damit rückständig sei, während der Ackerbau und damit das Bauerntum modern und fortschrittlich zu betrachten sei. Erst in den letzten Jahren wurden die Stimmen wieder lauter, die diese Sichtweise nicht teilen:
    Unzweifelhaft entstanden durch die Umstellung von der Jagd auf den Ackerbau nicht nur neue Krankheiten, sondern auch neue Konfliktherde und vor allem neue Abhängigkeiten. Die Steigerung der Ernteerträge sorgte erstmals dafür, daß Getreide gelagert wurde und so neue "Begehrlichkeiten" entstanden, wie der Forscher Carl-Heinz Boettcher es formulierte. Wohlstand lockt Räuber an, so ist es bis heute. Auch die gut gefüllten Lager und die Tierställe der ersten Bauern, die um die Mitte des 6. Jahrtausends nach Mitteldeutschland vorstießen, weckte das Interesse der schon länger dort lebenden Jägergruppen. Diese werden wohl zu Beginn Handel mit den landwirtschaftlich versierten, aufgrund er -verzierung ihrer Töpferwaren "Bandkeramiker" genannten Menschen getrieben haben. Schließlich aber wurden die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Bauerngruppen Mitteldeutschlands vertrieben oder wurden innerhalb der Bauerngemeinschaften aufgesogen. Dies stellt die bis heute vorherrschende These der Prähistoriker dar.


    Die seßhaften Jäger des Doggerlandes

    Dieses Szenario der kulturell fortschrifttlichen Bauern, die die rückständigen Jäger in unwirtliche Regionen vertrieben gilt nur für Süd- und Mitteleuropa, wo die Jägerpopulationen zahlenmäßig den Bauerngesellschaften deutlich unterlegen waren. Ausgeklammert aus der Betrachtung werden bei diesem Blick jedoch die Populationen an den Küsten Nordeuropas: Spätestens um 14.000 v. Zw. hatten sich Jägergruppen im damaligen, zwischen den britischen Inseln und dem heutigen Norddeutschland gelegenen  Doggerland niedergelassen, das als fruchtbares Siedlungsgebiet für die damalige Großfauna galt. Der reiche Bestand an Jagdbeute machte dieses Gebiet auch sehr attraktiv für den Menschen des Nordens. Die Nähe zur Küste und die Nutzung der maritimen Ressourcen sorgte zudem für ein Novum in der Geschichte des Menschen: Erstmals ermöglichte ein Lebensraum den damaligen Jägern, sich dauerhaft an einem Ort niederzulassen. Die Hütten der Menschen wurden stabiler, Inneneinrichtungsgegenstände hielten Einzug: Die ersten Fußböden entstanden, Feuerstellen in den Hütten sorgten dafür, daß auch kalte Nächte in wohliger Wärme verbracht werden konnten. Die Doggerländer begannen mit dem Bau von Booten, um auch auf See jagen zu können. Bootsbau wiederum setzt Seßhaftigkeit voraus. Die Jäger des Nordens, so die paradoxe Realität, waren damals seßhafter als die Bauern Mitteleuropas, die maximal ein Jahr an einem Ort verbrachten, bevor sie ihre Langhäuser um einige Kilometer verlegten, um neue Getreideflächen zu erschließen.
    Mit den Booten befuhren die Jäger aber nicht nur die Hochsee , sondern auch die nach Süden führenden Flußläufe des Binnenlandes. An den Flußläufen stießen die Menschen des Nordens, die  auf Siedlungen anderer Populationen, mit denen Handel getrieben werden konnte. Um den Menschen im Binnenland etwas anzubieten, begannen die Nordmenschen nicht nur Flintwerkzeuge zu "exportieren", sondern auch Ausgangsmaterial für Schmuck, das sich woanders nicht fand: Roter Flintstein aus Helgoland und vor allem der in der Sonne geheimnisvoll schimmernde Bernstein, der fortan fester Bestandteil des europäischen Handelsgutes wurde.


    Überschichtung und Ausbeutung der Bauern

    Im 6. Jahrtausend stießen die Bootsbesatzungen aus dem Norden nun auch auf die Ackerbauern aus dem Süden Europas (Anatolien?). Auch mit diesen wurde zu Beginn Handel getrieben. Zumindest so lange, bis die jagderprobten, körperlich gestählten jungen Männer feststellten, daß sie selbst nicht nur die Umtauschquoten diktieren konnten, sondern schließlich sogar Waren erhielten, ohne etwas dafür zu geben. Denn mit den Menschen der Bandkeramik und denen der Ertebølle-Kultur trafen zwei ungleiche Typen aufeinander: Hier die zwar wagemutigen aber eher friedfertigen Bauern, dort die in Jagd und Waffengebrauch geübten und körperlich sowohl an Körpergröße als auch an Kraft überlegenen Nordmenschen." (Krüger 2023, S. 79) Schnell werden die Nordmenschen gelernt haben, daß es keinen Sinn machte, die Bauern niederzumachen und sie auszurauben. Denn begnügte man sich damit, die Bauern nur zu bedrohen und hin und wieder mal einen zu töten, ergab sich die Gelegenheit, ein bis zweimal im Jahr Beute zu machen. Nachdem Bootsbesatzungen aus dem Norden immer öfter reich beladen in die Heimat zurückkehrten, fühlten sich auch andere Gruppen auf den Plan gerufen. Es begann eine Konkurrenz verschiedener Sippen, die in den Süden vorstießen und den Ackerbauern ihren Getreideüberschuß und Produkte der Haustiere abnahmen. So wird es vorgekommen sein, daß eine Gruppe "ihre" Bauern im Süden besuchte, und erfahren mußte, daß ihnen eine andere Gruppe zuvorgekommen war. Nun war nichts mehr zu holen, ohne befürchten zu müssen, daß die Bauern wegzogen. So wird es dazu gekommen sein, daß die Jäger feste Stützpunkte zum Mißfallen der Bauern nahe der Bauernsiedlungen errichteten und eine Besatzung installierte, welche die Bauern gegen andere Jägergruppen verteidigen konnte. Damit war der Grundstein zu einer neuen Gesellschaftsordnung gelegt. Die Jäger bildeten eine Art Adelsschicht innerhalb einer Gesellschaft von abhängigen Bauern bzw. Arbeitskräften, die auch zu anderen Arbeiten genutzt werden konnten. Zugleich kam es zu einer Vermischung zwischen Jägern und Bauern, da sich die neuen Herren der schönsten Bauerntöchter bemächtigten und Nachkommen zeugten. Schon der Forscher Oppenheimer wies 1909 darauf hin: „Aus allen diesen Gründen geht dem primitiven Bauern der kriegerische Offensivgeist gänzlich ab, der den Jäger und Hirten auszeichnet ... Er ist wohl muskelstark und ausdauernd, aber von langsamen Bewegungen und zögerndem Entschluß, während der Jäger und der Hirt durch ihren Beruf zu Schnelligkeit und rascher Tatkraft erzogen werden… der Bauer kann mit seiner undisziplinierten Landwehr, die aus ungeübten Einzelkämpfern besteht, dem Anprall der reisigen Hirten nicht auf die Dauer widerstehen, selbst wenn er in starker Überzahl ficht. Aber der Bauer weicht nicht aus, denn er ist bodenständig; und der Bauer ist an regelmäßige Arbeit schon gewöhnt. Er bleibt, läßt sich unterwerfen und steuert seinem Besieger:
    das ist die Entstehung des Landstaates in der Alten Welt!“

    [Weiterlesen unter forsite-verlag.de]


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