RECONQUISTA

  • Der Kriegseintritt der USA 1917

     

    Als die USA am 6. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, bedeutete dies die entscheidende Wende im 1. Weltkrieg. Bis zu diesem Zeitpunkt waren weder die „triple entente“ aus Großbritannien, Frankreich und Rußland noch die Mittelmächte unter Führung Deutschlands in der Lage gewesen, den Krieg siegreich für sich zu entscheiden.
    Während das Patt auf den Schlachtfeldern seit Mitte 1916 einen Verhandlungsfrieden „ohne Sieger und Besiegte“ zu einer realistischen Option werden ließ, machte der Kriegseintritt der USA diese Hoffnungen zunichte.
    Selbst Winston Churchill, einer der einflußreichsten Vertreter der britischen Kriegspartei, kam in einem Beitrag für das US-Magazin Esquire im Jahre 1936 zu dem Schluß: „Amerikas Kriegseintritt 1917 war ein unseliger Schritt. Wäret Ihr zuhause geblieben und Euren eigenen Geschäften nachgegangen, dann hätten wir im Frühjahr 1917 mit den Mittelmächten Frieden geschlossen“.

    J. P. Morgan organisiert die Kriegskredite

    In der Tat spielten geschäftliche Interessen eine entscheidende Rolle für den Kriegseintritt der USA.
    Bereits am 9. August 1914 trat das mächtige Bankhaus J. P. Morgan & Company an den amerikanischen Außenminister William J. Bryan heran, um zu erfahren, ob es von Seiten der Regierung Bedenken gegen eine Kreditvergabe an die Alliierten gäbe. Die Antwort war eindeutig: Kredite würden die Neutralität der USA verletzen und wurden deshalb untersagt.
    Diese Neutralität war jedoch halbherzig, denn die Lieferung von Rüstungsgütern wurde gleichzeitig toleriert.
    Schon am 31. März 1915 wurde die Neutralität noch ein Stück weiter aufgegeben. Präsident Woodrow Wilson, der vorher für die von der Morgan Bank kontrollierte Versicherungsgesellschaft Mutual Life tätig war, entschied gegen den Protest seines Außenministers, die Vergabe von Kriegskrediten an die Alliierten zu erlauben. Darauf trat Bryan zurück und setzte sich an die Spitze einer Kampagne gegen den Kriegseintritt. Auf zahlreichen Kundgebungen prangerte er die Kriegspolitik des Präsidenten und die Machenschaften der Finanzindustrie an. Bryan fand viel Zustimmung in der amerikanischen Öffentlichkeit, die Mehrheit der Amerikaner war entschieden gegen eine Einmischung in den europäischen Krieg.

    Das größte Geschäft aller Zeiten

    Die führenden Eliten der amerikanischen Wirtschaft und des Bankwesens (der „Ostküste“) dagegen setzten schon früh auf eine Beteiligung der USA. Eine Schlüsselrolle nahm dabei das 1871 gegründete Bankhaus J. P. Morgan ein, dessen Patriarch John Pierpont Morgan jun. im Januar 1915 das „lukrativste Geschäft aller Zeiten“ abschloß: seine Bank wurde zum offiziellen Agenten der britischen Regierung für die Kriegswirtschaft ernannt und erhielt die exklusive Kontrolle über alle militärischen Einkäufe in den USA. Die Bank entwickelte sich fortan zur Schaltstelle der US-Industrie. Die großen Konzerne wie Carnegie Steel, U.S.Steel, General Motors, der Kupfergigant Guggenheim und der Munitionsriese Dupont stürzten sich in das Kriegsgeschäft, und die amerikanische Wirtschaft, die 1914 noch in einer tiefen Rezession steckte, erlebte eine Hochkonjunktur. Die Umsätze der Stahlriesen stiegen um 400 Prozent, die Gewinne der Sprengstoffirmen wie Dupont explodierten und auch die Aktien schossen durch die Decke. Die Aktie von General Motors etwa stieg von 70 auf 750 Dollar, die von Bethlehem Steel gar auf das 20-fache, von 30 auf 600 Dollar.
    Während J. P. Morgan den gewinnträchtigen Eintritt der amerikanischen Industrie in den europäischen Krieg organisierte, verharrte die amerikanische Regierung in frommer Friedensrhetorik. In Europa verbluteten Millionen von Soldaten unter der Wirkung von US-Munition, Millionen von Dollars flossen in die Kassen der US-Unternehmen. Der Krieg war ein profitables Geschäft.

    Amerika ist empört - in den 30er Jahren

    In den USA rührten PR-Agenturen wie die „National Security League“ und die „Navy League“, die von der US-Industrie großzügig mit Spenden finanziert wurden, mächtig die Trommel, um die kriegsunwilligen Amerikaner für einen Krieg zu begeistern und die Wiederwahl kriegsunwilliger Kongreßabgeordneter zu verhindern. Die Kriegspropaganda nutzte dabei professionell jene Gräuelmärchen - etwa über abgehackte Kinderhände in Belgien - die darauf abzielten, den Gegner als Verbrecher zu diskreditieren und einen moralisch begründeten Vernichtungskrieg gegen das Böse zu rechtfertigen. Auf dem publizistischen Schlachtfeld der Moral (und der Lüge) war die deutsche Seite so gnadenlos unterlegen, daß die Kriegsgegner in Amerika schnell zum Schweigen gebracht werden konnten. Damit konnte der Weg in den Krieg auch vor der demokratischen US-Öffentlichkeit legitimiert werden.
    Erst in den dreißiger Jahren kam es zu einer Aufarbeitung der Verwicklungen der amerikanischen Industrie in den Kriegseintritt der USA. Ein Komitee des US-Senats unter der Leitung des Senators Gerald P. Nye dokumentierte die gewaltigen Gewinne der amerikanischen Kriegsindustrie und kam zu dem Schluß, daß die Wallstreet-Banken Präsident Wilson 1917 unter Druck gesetzt hatten, in den Krieg einzutreten, um ihre gewaltigen Kreditsummen mit Waffengewalt zu verteidigen. Eine Welle der Empörung erfaßte darauf die amerikanische Öffentlichkeit und führte dazu, daß in den Jahren 1935-1939 - unter F.D. Roosevelt - vier Neutralitätgesetze beschlossen wurden, um eine ähnliche Kriegspolitik in Zukunft zu verhindern. Die amerikanische Öffentlichkeit sah sich getäuscht und Medley Butler, einer der höchstdekorierten US-Generäle, brachte die Enttäuschung darüber auf den Punkt: „Der Krieg war ein Schwindel.“

    Die Neutralität war ein Schwindel

    Von Schwindel kann man jedoch auch in anderer Hinsicht sprechen.
    Die Neutralität der USA fällt in die Kategorie von Täuschung und „Lügen in Zeiten des Krieges“. Die vorgetäuschte Neutralität war die Ursache einer asymmetrischen Kriegführung, durch die die mächtigste Kriegspartei sich praktisch unangreifbar machte. Deutschland und Österreich konnten sich erfolgreich gegen die drei Großmächte England, Frankreich und  Rußland wehren und der Krieg drohte spätestens 1916 wegen Mangels an Nachschub zu erlöschen. Die unerschöpflichen Rüstungslieferungen aus den USA waren der Treibstoff, der den Kriegsmotor am Laufen hielt.
    Deutschland und seine Verbündeten kämpften damit offen gegen drei Gegner, während sie von vieren attackiert wurden. Die Tarnkappe der Neutralität erlaubte es den USA ohne jede Gefahr für Leib und Leben an einem Krieg teilzunehmen, der dem Land einen immensen wirtschaftlichen Gewinn sicherte. Für die USA war der Krieg das größte Geschäft aller Zeiten, eine gigantische Spekulation auf den sicher geglaubten Ausgang.

    Die Wende von 1917 - Seekrieg im Westen und Lenin im Osten

    Die Asymmetrie hatte eine geopolitische Grundlage. Während Deutschland durch eine völkerrechtswidrige Fernblockade der Seewege ins Mark getroffen wurde, den Steckrübenwinter nur unter größten Entbehrungen überstand und 700.000 Menschen durch die Hungerblockade starben, prangerten die USA den Versuch einer ähnlich wirksamen Seeblockade Englands als nicht tolerierbaren Verstoß gegen das Völkerrecht an und nahmen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg schließlich als Vorwand für den Kriegseintritt.

     

    [mehr erfahren Sie in der aktuellen Ausgabe 2/2017]

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