RECONQUISTA

  • Die europäischen „Haplogruppen“

    Abb. 1) Haplogruppen und ihre Abspaltung
    Abb. 2) Anteil der Y-Haplogruppen innerhalb europäischer Staaten

     

    Im ersten Teil dieser Serie haben wir gesehen, daß es bestimmte Abschnitte im menschlichen Genom gibt, die unverändert an die nächste Generation vererbt werden: Das Y-Chromosom wird in der direkten männlichen Linie jeweils vom Vater an den Sohn weitergereicht, und die DNS der Mitochondrien (mt-DNS) stammt allein von der Mutter und wird daher in der direkten weiblichen Linie vererbt. Kleine Variationen, Mutationen, die von Zeit zu Zeit auftreten, sind die einzigen Veränderungen in diesen Bereichen des genetischen Schlüssels. Durch ihre Betrachtung lassen sich Verwandtschaftsgrade ermitteln und Stammbäume der väterlichen und mütterlichen Linien erstellen. Denn einige Mutationen werden von vielen oder von fast allen Menschen geteilt und sind daher sehr alt, andere treten individuell auf und zeigen neuere Entwicklungen an. Bild 1 stellt die Entwicklungsgeschichte väterlicher und mütterlicher Linien der letzten 80.000 Jahre dar, jede Haplogruppe ist durch einen Buchstaben gekennzeichnet. Beide Entwicklungen verlaufen unabhängig voneinander – übereinstimmende Buchstaben auf der rechten bzw. auf der linken Seite haben also nichts miteinander zu tun.


    Im zweiten Teil unserer Serie wollen wir uns mit der genetischen Zusammensetzung der europäischen Völker beschäftigen. Durch Bestimmung der Haplogruppen heute lebender Menschen ist es möglich, die Abstammungsgeschichte der Mitglieder verschiedener Populationen zu untersuchen. Zugleich gelingt es immer häufiger, DNS aus Skeletten, die in uralten Gräbern gefunden werden, zu isolieren und auch hier die Haplogruppen zu bestimmen. So verstehen wir allmählich die Genese der Völker durch das Nachzeichnen der Wanderungsbewegungen vergangener Jahrtausende.
    Zwei Arten von Wanderungen sind zu unterscheiden: Einmal diejenige von Familienverbänden, von ganzen Populationen zur Erschließung neuer Siedlungsgebiete – und zum anderen die Landnahme durch kriegerische  Horden junger Männer. Im zweiten Fall verlagert sich allein die männliche Population, die Frauen im Zielgebiet werden „erobert“ und ändern ihren Standort nicht. Gerade die jüngere Geschichte verdeutlicht, daß oftmals nur die Männer wandern, und so wollen wir die Aufmerksamkeit in diesem zweiten Teil unserer Serie besonders auf die örtlichen Verschiebungen der männlichen Y-Haplogruppen richten.
    Bild 2 zeigt uns die heutige Zusammensetzung europäischer Völker nach Y-Haplogruppen. Die meisten europäischen Männer sind demnach Angehörige der HG R1, wobei eine Linie von Nord nach Süd, etwa entlang der Oder, den Kontinent in zwei Hälften teilt: Im Westen dominiert die Variante R1b (rot), im Osten R1a (gelb). In Skandinavien und Norddeutschland dagegen ist I1 (türkis) die vorherrschende Y-Haplogruppe, im nördlichen Balkan ist I2 (blau) stark vertreten. E, G und J haben jeweils einen Anteil von 5%  an der Gesamtbevölkerung. Woher stammen all diese Menschen? Welche geschichtlichen Entwicklungen haben sie an ihren heutigen Ort geführt?
    DNS-Untersuchungen an sehr alten Skeletten ergeben folgendes Bild: Bei den frühesten europäischen Funden dominiert die Haplogruppe I, die auf unserem Kontinent noch heute sehr zahlreich vertreten ist. Ihr Siedlungsgebiet war zunächst offenbar Südeuropa, im Balkan oder Italien liegen die ältesten Fundstätten (ab 34.000) – doch mit dem Rückgang der Gletscher nahmen diese Menschen auch den Norden in ihren Besitz. Sie waren Jäger und Sammler, später, in Meeresnähe, auch Fischer. Blonde Haare, blaue Augen und sehr helle Haut finden sich zum ersten Mal bei Menschen der Haplogruppe I2, die vor etwa 7.700 Jahren im südschwedischen Motala lebten. Die europäischen Jäger- und Sammler waren nach Meinung der Forscher die größten Menschen ihrer Zeit. Alle alten Funde gehören der Untergruppe I2 an, während die frühesten I1-Funde erst in neolithischer Zeit auftauchen. Dennoch gibt es heute eine klare Schwerpunktbildung: I1 dominiert als „nordische“ Haplogruppe in Skandinavien und Nordeuropa, während I2 seine größte Verbreitung im nördlichen Balkan hat.
     Auch die heute zahlenmäßig stärkste Haplogruppe R1b  läßt sich früh in Europa nachweisen - ab 12.000 vd. Gegenwart in Italien, ab 10.000 in Südfrankreich und ab 9.000 im Balkan und in Lettland - scheint aber zunächst noch keine wichtige Rolle gespielt zu haben. Die ältesten Funde aus Deutschland sind etwa 5.500 Jahre alt. Angehörige dieser Gruppe hatten dunkle Augen und dunkle Haare, auch die Haut war dunkler als die des durchschnittlichen modernen Europäers. Erst zwischen 3.000 und 2.000 vd. Zeitenwende wird R1b zur dominanten Gruppe in Westeuropa und erreicht in Irland, im schottischen Hochland, an der französischen Atlantikküste und in Nordspanien Bevölkerungsanteile von bis zu 80 %. In Deutschland beträgt ihr Anteil heute 45%. Die Lehrmeinung hält die R1b-dominierte Yamna-Kultur in der Ukraine für Ur-indogermanisch und geht von einer kriegerischen Eroberung aus. Die Eroberer hätten, so die Forscher, Metalle und zahlreiche andere kulturelle Errungenschaften in Europa eingeführt. Leider ist diese Darstellung nichts anderes als eine Neuauflage der von Maria Gimbutas vertretenen „Kurgantheorie“, die schon seit Jahren als widerlegt gilt.
    Während R1b in Westeuropa dominiert, gehören die meisten Menschen in Osteuropa mit 40-60% Bevölkerungsanteil in Polen oder Rußland der Schwestergruppe R1a an. Auch die Vertreter dieser männlichen Haplogruppe haben sich erst spät in Europa ausgebreitet, man geht ebenfalls von einer Einwanderungswelle im 3. Jahrtausend v. d. Zw. aus. Das Ursprungsgebiet scheint in Sibirien gelegen zu haben. Die Lehrmeinung hält diese Menschen für den östlichen „Satem“-Zweig der Indogermanen, aus dem Slawen, Balten und Indoiraner hervorgegangen seien. Ebenso wie ihre R1b-Brüder sollen sie sich durch kriegerische Eroberung in Europa ausgebreitet haben und bis nach Skandinavien vorgedrungen sein.
    Die Haplogruppe G stammt aus dem Kaukasus und scheint mit den frühen neolithischen, also Landwirtschaft treibenden Kulturen nach Europa vorgedrungen zu sein. Ihre Vertreter müssen zu jener Zeit in Europa recht zahlreich gewesen sein: Die meisten untersuchten Skelettfunde der hochstehenden Starcevo- und der Vinca-Kultur im Balkan (6. Jt. vd. Zw.), ebenso der mitteleuropäischen Bandkeramik, gehören zur Y-Haplogruppe G2. Auch „Ötzi“, der Gletschermann, war ein Angehöriger dieser Gruppe. Obwohl das landwirtschaftliche Prinzip sich weltweit durchgesetzt hat, ist ihre Zahl heute stark zurückgegangen, lediglich in Portugal, Rumänien, im alpinen Raum und in Italien übersteigt der Bevölkerungsanteil 10 %. In Deutschland beträgt er lediglich noch 5 %.
    Kleinere Anteile der europäischen Bevölkerung entfallen auf die Haplogruppen E und J, die in Deutschland mit jeweils 5 % auftreten. E ist die dominante Gruppe Afrikas, ihr europäischer Zweig ist die Untergruppe E-V13 und vor allen Dingen im südlichen Balkan stark. J ist überwiegend orientalisch, doch findet man ihre Träger vereinzelt auch in europäischen Gräbern aus sehr früher Zeit.
    Das Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen Haplogruppen und damit von unterschiedlicher biologischer Herkunft innerhalb bestimmter Kulturen oder Staaten indiziert eine gewisse Gemischtheit der europäischen Völker. Diese Heterogenität zeigt sich, wenn auch in geringerem Maße, schon bei den Angehörigen des europäischen Neolithikums vor 8.000 Jahren. Die politisch korrekte Forschung folgert, daß Mischung von Menschen unterschiedlicher Herkunft immer schon selbstverständlich gewesen sei und zu den förderlichen Grundkonstanten menschlichen Daseins gehört. Folgt man jedoch der Argumentation Böttchers (Siehe Der Ursprung Europas, S. 32), so können wir abweichend von bestehenden Lehrmeinungen davon ausgehen, daß die meisten Völker Europas durch Eroberung und Überschichtung entstanden sind. Die hochgewachsenen, kampferprobten Jäger der Haplogruppe I haben friedliche Bauern überfallen und in ein Abhängigkeitsverhältnis gezwungen. Als kleine Minderheit, die jeweils nur wenige Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, lebten sie von den Abgaben ihrer Untertanen und beschränkten sich auf das Führen kriegerischer Auseinandersetzungen und auf das Regieren. So entwickelten sich neue Völker, neue Kulturen mit jeweils eigenen Identitäten. Bis in die jüngste Vergangenheit gehörte die Zweiteilung, die Schichtung in eine zahlenmäßig kleine Aristokratie und eine breite Unterschicht zum Selbstverständnis dieser Völker. Erst der soziale Wandel, die Überwindung einer streng biologisch ausgerichteten Schichtung – entweder durch allmähliche Auflösung der Jahrtausende alten Ordnung,  oder durch Revolutionen - erzeugte die relative Heterogenität des modernen Europa.

    Verwandtschaftsbeziehungen

    Sind die europäischen Völker also durch Vermischung oder durch Überschichtung entstanden? Erst die Auswertung zukünftiger Grabfunde wird hier Klarheit schaffen. Zum Abschluß wollen wir die Verwandtschaften der verschiedenen, durch Haplogruppen definierten Populationen Europas untersuchen. Bild 1 zeigt den Stammbaum der Y-Haplogruppen. Wir sehen, daß eine enge Verwandtschaft zwischen der alteuropäischen Haplogruppe I und der im vorderen Orient, bei Arabern, Juden und Iranern verbreiteten HG J besteht. Vor etwa 38.000 Jahren lebte der letzte gemeinsame Vorfahre. Die genetische Entfernung zu den Haplogruppen R, Q und N, die untereinander eng verwandt sind, ist schon deutlich größer. R hat den letzten gemeinsamen Verwandten in der männlichen Linie mit I vor etwa 46.000 Jahren. R-dominierte Populationen wie die Baschkiren oder Turkmenen leben heute noch in Zentralasien.Der nächste Verwandte von R ist die Haplogruppe Q, die unter den Indianern Nord- und Südamerikas dominiert. Auch HG N, die besonders unter Samen, Lappen und Norduraliern verbreitet ist, steht R noch näher als I. Wenn also I die autochthone europäische Haplogruppe ist, so läßt sich feststellen, daß sie heute nicht mehr zahlenmäßig dominiert, sondern daß ihr von R der Rang abgelaufen worden ist. Die Gründe sind unbekannt – denkbar wäre eine höhere Fruchtbarkeit oder eine überproportionale Anzahl von Söhnen bei der R-Gruppe. Die Frage muß an dieser Stelle offen bleiben.
    Noch etwas größer ist die genetische Entfernung zur HG G, zu jenen Einwanderern aus dem Kaukasus, die vermutlich zuerst die Landwirtschaft nach Europa brachten. Der letzte gemeinsame Vorfahre mit I bzw. R lebte vor 48.000 Jahren. Und die größte genetische Entfernung aller anderen Europäer besteht zur HG E, deren Y-Chromosomen enge Verwandtschaft nach Afrika aufweisen. Ihr letzter gemeinsamer männlicher Vorfahre mit den übrigen Europäern lebte vor 70.000 Jahren.
    Welche Schlüsse können wir aus der heutigen Verteilung der Haplogruppen ziehen? Während die autosomalen Gene, also der gemeinsame Bestand aller innerhalb der einzelnen Völker vorhandenen Erb-
    informationen, die genetische Identität nach außen abgrenzen, belegen die Haplogruppen zugleich die Verwandtschaft der europäischen Völker untereinander. Sie sind außerdem ein Maß für die genetische Heterogenität innerhalb der einzelnen Nationen.
    Das bedeutet: Betrachtet man den gesamten Genpool, den gesamten Bestand autosomaler Gene innerhalb einer Population, so läßt sich fast jeder Europäer mühelos seiner eigenen Nation zuordnen. Abb. 2 zeigt die Überschneidungen im Genpool der Völker Europas. Forensiker sind heute in der Lage, allein durch Analyse des Genoms eines unbekannten Toten dessen Herkunftsregion zu ermitteln. Zugleich informieren uns die Haplogruppen über die Heterogenität innerhalb dieses gemeinsamen Genpools. Sie zeigen uns, welche Menschentypen zum Gesamtbestand an Genen bei den einzelnen Völkern beigetragen haben, woher sie stammten, und inwieweit sie miteinander verwandt waren. Mit jeder genetischen Untersuchung an lebenden oder vor langer Zeit verstorbenen Menschen wird das Gesamtbild ein Stück weit klarer.

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