RECONQUISTA

  • Kelten in Amerika?

    Die Entdeckung Amerikas, lange bevor Kolumbus sich auf den Weg machte, ist ein Thema, das auf eine lange Geschichte zurückblickt. Fast jede antike und frühgeschichtliche Zivilisation wurde schon in Amerika gewähnt, die wenigsten Hypothesen indes ließen sich durch hinreichende Beweise untermauern. So gelten bis heute die Wikinger als die frühesten Entdecker Amerikas. Daß diese jedoch nicht nur Nordamerika, sondern auch Südamerika besucht haben sollen ist eine Kernthese des umstrittenen Autoren Jacques de Mahieu.1 Sein Hauptproblem ist seine einstige Nähe zum Dritten Reich, die ihm den Vorwurf eintrug, lediglich die weiße Überlegenheit gegenüber den amerikanischen Indianern untermauern zu wollen. Auch die Thesen des wissenschaftlichen Außenseiters Hans-Joachim Zillmer, wonach nicht nur Ägypter, Phönizier, Kelten und Römer, sondern auch Tempelritter Amerika bereist hätten, wurde überwiegend verworfen.² Bei Zillmer sind es dabei weniger politische Gründe, denn seine Unterstützung  der Chronologiekritik, die ihn unglaubwürdig machten. Ihm zufolge ist die Chronologie der westlichen Welt um Jahrtausende künstlich verlängert worden. Mit der Veröffentlichung des Professors für Kulturwissenschaften Hans Giffhorn trat 2013 erstmals ein anerkannter Akademiker für vorkolumbianische Kontakte zwischen alter und neuer Welt ein. Sein Beweisobjekt ist das erst seit wenigen Jahren näher erforschte Andenvolk der Chachapoya.
    Dieser auch Wolkenmenschen oder Nebelkrieger genannte Stamm widersetzte sich bis zuletzt den mächtigen Inka und kämpfte nach Eintreffen der Spanier sogar Seite an Seite mit den Kolonialherren gegen das rivalisierende Indio-Volk. Trotz des gemeinsamen Sieges sollte dies ihr Verhängnis werden. Von den Spaniern ebenso unterjocht wie die Inka, wurden sie zu großen Teilen durch eingeschleppte Seuchen der Europäer hinweggerafft.

    Die Erkenntnisse Hans Giffhorns
    Hans Giffhorn gelang es nun, durch Abgrenzung zu den vermeintlich unseriösen Forschern mit dem CH.-Beck-Verlag nicht nur einen angesehenen Verlag für seine Publikation zu finden, sondern überdies auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten für gemeinsame Filmdokumentationen zu gewinnen.
    Der erste Film wurde in Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk 2013 erstellt, 2014 folgte eine Gemeinschaftsproduktion mit Arte. Aktuell ist nun der erste eigene, dreiteilige Film des Wissenschaftlers bei Spiegel TV erschienen, der auch die jüngsten Erkenntnisse berücksichtigt.³ Ursprünglich, so Giffhorn selbst, sei er bei seinem ersten Besuch Südamerikas angetreten, um die Unhaltbarkeit früher Kontakte zwischen Europa und Amerika zu bestätigen. Als er aber die an keltische Rundbauten auf den Balearen erinnernden Wohnhäuser des Andenvolkes erblickte, kamen ihm die ersten Zweifel. Überzeugt von Kontakten, ja von einer regelrechten Ansiedlung von Kelten in Amerika, wurde er schließlich durch weitere Funde wie keltische Schriftzeichen und Gefäße sowie durch zahlreiche europid erscheinende Menschen, die sich noch heute unter den Nachfahren der Chachapoya in Peru finden lassen.     
    Alle Beweise und Indizien veranlaßten den Forscher zur Aufstellung einer abenteuerlich wirkenden These, die er in seiner 2. Auflage den neuen Erkenntnissen anpaßte: War Giffhorn zuvor davon ausgegangen, daß zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts Karthager gemeinsam mit verbündeten Kelten auf der Flucht vor den Römern nach Südamerika gelangt waren, konzentrierte er sich nun auf iberische Kelten. Giffhorn vermutet, daß eine größere Flotte mit Hunderten von Kelten um 150 v. Chr. in die Gegend rund um die Amazonasmündung verdriftet wurde. Dort habe man keinen der gewohnten Lebensweise angemessenen Siedlungsraum vorgefunden, zum Beispiel seien dort keine Steine für ihre Art, Häuser zu bauen, zu finden gewesen. Auch habe man womöglich, als man auf den Amazonasstrom gestoßen sei, die Hoffnung gehabt, weiter flußaufwärts auf ein angenehmeres Klima zu stoßen.
    Nach und nach, wohl über einen Zeitraum von mehreren Hundert Jahren, sei man den Amazonas hinauf gezogen, bis man ins 5000 Kilometer entfernte spätere Siedlungsgebiet der Chachapoya gelangte. Nirgendwo habe man unterwegs dauerhaft bleiben können, stets sei man nach einiger Zeit mit den – auch von den ersten Spaniern noch überlieferten – kriegerischen, feindlichen Amazonasvölkern in Konflikt geraten. Um die Zeitenwende hätten die sowohl von den balearischen Inseln als auch vom spanischen Festland stammenden Kelten in den Anden ein Gebiet besiedelt und mit dem Bau größerer Steinbauten begonnen.
    Eine solche Anlage wurde vor wenigen Jahren freigelegt. Diese regelrechte Stadt erstreckte sich einst über mindestens 65
     Quadratkilometer, umgeben von einer mit Wachttürmen bestückten Mauer. Gepflasterte Wege entlang des Flusses Huabayacu verbanden sechs getrennnte Anlagen. Entgegen der bisherigen Datierung, sollen auch die Arbeiten an der gewaltigen Festung von Kuelap, dem bekanntesten Bauwerk der Chachapoya, nicht erst im 6. Jahrhundert, sondern bereits in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christus angelaufen sein. Unterstützt wird diese Einschätzung vom deutschstämmigen Anthropologen Peter Lerche, der den Beginn der Chachapoya-Kultur auf die Zeitenwende ansetzt.4

    Die Beweise
    Giffhorns stichhaltigster Beweis für seine Außenseiterthese der europiden Herkunft der Chachapoy-Vorfahren ist neben der Architektur und den europiden Schriftzeichen eine kürzlich durchgeführte genetische Untersuchung mit organischem Material, das aus einigen der zahlreichen Chachapoya-Mumien stammt. Diese Untersuchung bekräftigt was sowohl die Ansicht der europäisch wirkenden Totenköpfe als auch der Fund zahlreicher blonder Mumien nahelegte: eine Verwandtschaft des Stammes mit europiden Völkern. Das mit der Analyse betraute molekulargenetische Forschungslabor in Rotterdam bestätigte, daß sich vor langer Zeit offenbar  männliche europäische Vorfahren mit indianischen Frauen gepaart haben müssen.
    Hinzu kommen aber noch weitere Funde und Erkenntnisse, die von den Chachapoya-Experten bislang nicht erklärt werden konnten: Trapanationsspuren einer besonderen Art, die nur im alten Europa, nicht aber in Amerika bekannt sind. Eine Metallaxt in Hörnerkopfgestaltung, die im Amazonasgebiet aufgefunden wurde. Eine Altersanalyse des offensichtlich nachträglich hinzugefügten Axtstiels, der wohl den zerstörten ursprünglichen ersetzte, ergab ein Alter von 1800 Jahren. Horntiere waren allerdings bis Kolumbus in Amerika unbekannt, zudem erinnert die Axt stark an keltischen Kunststil. Als auffällig erwiesen sich auch die Steinschleudern der Chachapoya: Sie entsprechen sowohl in Webtechnik als auch im Aussehen exakt jenen Schleudern, die auf den Balearen seit der Antike Verwendung fanden. Sogar die Gewohneit der Balearenbewohner, ihre Schleudern um den Kopf zu binden, konnte für die Chachapoya ebenso nachgewiesen werden, wie der Brauch, toten Feinden ihre Köpfe abzuschneiden um damit die heimischen Hauswände zu schmücken.
    Eine Zusammenfassung der zahlreichen Indizien, denen schon fast Beweisstatus zuerkannt werden kann, erlaubt keinen vernünftigen Zweifel daran, daß die Chachapoya-Kultur entscheidend von Einwanderern aus Europa geprägt wurde.

    Die fehlenden vorantiken Besucher
    Einer der wenigen Kritikpunkte am Autoren ist jedoch, daß er Kontakte zwischen Europa und Amerika für die vorantike Zeit kategorisch ausschließt. Dies geschieht zum einen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Eigenständigkeit der ameriden Frühkulturen in Abrede stellen zu wollen und so Sympathien für seine lokale europide Einwanderung auch bei amerikanischen Forschern zu gewinnen. Andererseits ist dies aber auch Ausdruck der Vernachlässigung der weitläufigen Literatur vermeintlich unseriöser Forscher, aus der unzweifelhaft Anstöße für die Ausweitung seines begrenzten Bildes hätte gewinnen können. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß Giffhorn selbst diesen fehlenden Blick über den Tellerrand in Bezug auf die eifersüchtige Abgrenzung verschiedener Forschungsrichtungen zurecht anprangert.
    Bei genauerer Betrachtung der älteren Forschung wird erkennbar, daß nicht die Phönizier die ersten Besucher Amerikas gewesen sein können, wie Giffhorn unter Verweis auf Plutarch und Herodot meint. Denn zu groß sind auch die Ähnlichkeiten europider Megalithik mit Steinbauwerken in Südamerika. Von großer Bedeutung ist dabei auch die alte Kultur von Tihuanaku, die unbeachtet der utopischen Datierungen einiger Forscher durchaus einige Hundert Jahre älter sein dürfte, als ihr heute zugestanden werden. Hier findet sich in einer Wand der Steinanlage ein europid wirkender Steinkopf, der an die Karaja-Stelen der Chachapoya erinnert. Ihnen gemein ist der langgestreckte Kopf mit langer Nase und ausgeprägtem Kinn. Und auch ältere Schriftzeichen an verschiedenen Orten Südamerikas scheinen auf Verbindungen zwischen alter und neuer Welt hinzuweisen. Schriftzeichen von denen der US-Wissenschaftler Barry Fell auch einige in Nordamerika nachweisen konnte, die er für bronzezeitlich und skandinavischer Herkunft hält.5 
    Bronzezeitliche Felsbilder in Nordeuropa zeigen Schiffe mit Steven, die eine Hochseetauglichkeit nahelegen und bis zu 30 Männer trugen. Die generelle Möglichkeit sogar jungsteinzeitlicher Transatlantikfahrten haben Thor Heyerdahl und zuletzt Dominique Görlitz experimentell nachgewiesen.6 Von diesen frühen europäischen Amerikafahrern dürfte auch das Wissen über den verborgenen Kontinent auf die Phönizier gelangt sein. Deren Vorfahren nämlich waren Philister, die um 1200 v. Chr. aus ihrer nordeuropäischen Heimat in den Mittelmeerraum gelangt waren.7 Nicht unwahrscheinlich ist, daß einige nordische Flüchtlinge nach einer Flutkatstrophe zu diesem Zeitpunkt ihre Heimat in Richtung Amerika verließen. Die Belege, die der bereits erwähnte Jacques de Mahieu für die Ankunft des Volkes der Olmeken in Mittelamerika um 1200 v. Chr. erbringt, stehen denen Giffhorns für die spätere Keltenansiedlung kaum nach: Schriftzeichen, Statuen, Bildnisse und Überlieferungen, die allesamt auf europäische Einwanderer weisen.
    Auch ein Kontakt europäischer Besucher mit den Vorfahren der Inka erscheint durchaus wahrscheinlich. Er würde auch plausibel erklären, warum die Inkaherrscher nach ihrem Sieg über die Chachapoya deren Frauen als Ehepartnerinnen bevorzugten - eine Hommage an die „weißen Götter“, die einst Amerika besucht und viele kulturelle Impulse vermittelt haben sollen.8
    Allerdings dürfte es sich - und hier ist Giffhorn wiederum zuzustimmen - anders als bei den späteren Kolonisierung durch Kelten - bei den früheren Amerikafahrten zumeist um zeitlich begrenzte Besuche und Erkundungsfahrten gehandelt haben, die europäische Angehörige megalithischer Kulturen und vermutlich auch Seefahrer der europäischen Bronzezeit immer wieder unternahmen. Daß dabei aber durchaus auch „religiöse“ Ideen vermittelt worden sein könnten, legt auch die Kenntnis des Sonnenbringerglaubens nahe, aus der sich die südameriden Sonnenkulte entwickelt haben dürften, wie sie von Inka, Maya und Azteken später zelebriert wurden.

    Anmerkungen:
    1) Jacques de Mahieu: Des Sonnengottes große Reise – Die Wikinger in Mexiko und Peru. Tübingen: 1972
    derselbe: Die Flucht der Trojaner. Tübingen 1985.
    2) Hans-Joachim Zillmer: Kolumbus kam als Letzter. München 2004
    3) Hans Giffhorn: Keltische Krieger im antiken Peru - die Rätsel der Chachapoya. DVD Hamburg 2016
    4) Peter Lerche zit. nach Giffhorn: Wurde Amerika in der Antike entdeckt? München 2013, S. 75.
    5) Barry Fell: Bronze-Age-America. Auszüge auf deutsch in: Heinz Maass: Deutschlands Urahnen. Lemwerder 1999. Über Tihuanaku siehe: Edmund Kiß: Das Sonnentor von Tihuanaku. Nachdruck Bottrop 2005
    6) Thor Heyerdahl: Expedition Ra. Mit dem Sonnenboot in die Vergangenheit. Gütersloh 1970; Dominique Görlitz: Mit dem Schilfboot durch das Sternenmeer. Das Schilfboot Abora II kreuzt entlang uralter Himmelsrouten durch das Mittelmeer. 2006
    7) Siehe Jürgen Spanuth: Die Atlanter. Tübingen 1976 
    8) So unterstreicht Giffhorn auch die immer wieder angezweifelten Zitate früher spanischer Chronisten, die von weißen Menschen mit hellen Haaren sprachen.

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