RECONQUISTA

  • 01-07-20 16:01 Alter: 4 Jahr/e

    Der Jägeradel Europas


    Haplogruppen der in Megalithgräbern bestatteten Toten


    Links: Zusammensetzung („Admixture“) aus der Megalith- und Trichterbecher-Epoche. Der anatolische Anteil (ENF) war wesentlicher höher als heute. Rechts: Typische Zusammensetzungen des skandinavischen Mesolithikums, also der Zeit vor der anatolischen Einwanderung


    Eine Veröffentlichung aus dem Mai 2019 befasst sich mit der genetischen Disposition jener Menschen, die in Megalithbauwerken in Nord- und Westeuropa bestattet sind. Die Megalithkultur entstand ab etwa 4.500 v.d. Zw. an den Küsten Europas und expandierte anschließend in den Mittelmeerraum. Man findet die charakteristischen Bauten – Steinkreise, Menhire, Dolmen, Ganggräber – auch in West- und Nordafrika, in Ägypten und Palästina. Schon früh wurde die Ansicht vertreten, daß die aufwendige Architektur nur von einer streng hierarchisch gegliederten Gesellschaft hervorgebracht worden sein kann, in der eine kleine Elite über die Arbeitskraft des größten Teils der Einwohner frei verfügen konnte. Diese Konstellation, die Herrschaft einer kleinen Gruppe von Menschen über die breite Masse der Bevölkerung, zählt bis in die Gegenwart zu den unabdingbaren Voraussetzungen jeder Art von Hochkultur.

    Wer waren also diese Menschen, die sich Megalithgräber errichten ließen und deren Skelette man in den Grabmälern gefunden hat? Die Untersuchungen haben ergeben, daß alle 16 für die betreffende Veröffentlichung untersuchten Personen Angehörige der männlichen Y-Haplogruppe I gewesen sind, acht davon konnten der Untergruppe I2 zugeordnet werden. I (M170) ist die Haplogruppe der europäischen Jäger, die vor 20.000 Jahren noch fast allein den Kontinent besiedelten. Spätere Migrationswellen – zunächst kamen vor etwa 7.000 Jahren anatolische Bauern, die „Bandkeramiker“, mit den für sie typischen Y- Haplogruppen G2a, H, T, J, C1a und E1b, dabenen auch Einwanderer der Haplogruppen R1a/R1b, die heute den Hauptteil der männlichen Bevölkerung stellen - führten zu der genetischen Durchmischung, die wir heute vorfinden.


    Die genetische Konstellation der untersuchten Körper gibt uns die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Megalithzeit zu rekonstruieren. Die Verteilung der weiblichen Haplogruppen in den Megalithgräbern ist keineswegs so monoton wie die der männlichen: Nur einmal finden wir mit U5b eine typische Linie der europäischen Jäger, daneben sind mit K1, H1, H7, HV und J1 zahlreiche weibliche Stämme der anatolischen Einwanderer vertreten. Die autosomale genetische Zusammensetzung („Admixture“) zeigt den Einfluß der Einwanderer noch deutlicher: Knapp 80% der Gene sind der Komponente ENF („Early Neolithic Farmer“ - frühe anatolische Bauern) zuzuordnen, die alteuropäischen WHG und EHG („Western/Eastern Hunter Gatherer“ – Europäische Jäger) machen zusammen nur gut 20% aus. Genetisch gesehen sind diese Menschen aus den Megalithgräbern also inzwischen Mediterrane mit überwiegendem Anteil anatolischer Bauern-DNS geworden. Zum Vergleich: Heute liegt der ENF-Anteil der meisten Europäer bei etwa 30 %, also deutlich niedriger.

     

    Die Veröffentlichung der internationalen Forschergruppe beschränkt sich darauf, die vorgefundenen Sachverhalte zu beschreiben – die zwingenden Schlußfolgerungen, die uns tiefe Einblicke in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Vorzeit ermöglichen, bleiben dagegen unausgesprochen: Diese Menschen aus alteuropäischen I2-Linien, die wir in den Gräbern finden, waren die Eliten ihres steinzeitlichen Staates! Es muß zu einer Überschichtung von Bauerngesellschaften durch kriegerische Jägergruppen der Haplogruppe I gekommen sein, als deren Folge sich eine kleine Herrenschicht herausgebildet hat, die ihre Machtstellung in der männlichen Linie über Jahrhunderte behaupten konnte. Diese Jäger haben keine – oder nur sehr wenige - Frauen mitgebracht und nahmen sich deshalb Partnerinnen aus dem Kreis der unterworfenen Bauern – so tragen ihre Nachkommen in den Gräbern fast ausschließlich deren weibliche Haplogruppen. Die Praxis, Frauen aus der Bauernschicht zu wählen muß sich über längere Zeit fortgesetzt haben, denn zum Zeitpunkt der Bestattungen betrug der Anteil an Jägergenen nur noch gut 20%. Wenn wir annehmen, daß die Bauern keine Frauen der Jäger geheiratet haben – ebenso wie die adeligen Frauen im Mittelalter keine Angehörigen der Unterschicht als Partner wählten – können wir schließen, daß der WHG/EHG-Anteil innerhalb der Oberschicht wesentlicher höher lag als in der Gesamtbevölkerung. So lässt sich abschätzen, daß die Größe der Oberschicht zu jener Zeit höchstens 20% betrug, wahrscheinlich aber wesentlich kleiner war; realistisch ist ein Wert von 5-10%.

    Damit verschiebt sich das Bild auf die Steinzeitjäger, das gegenwärtig von der Wissenschaft vermittelt wird, ganz erheblich: Allgemein wird davon ausgegangen, daß die europäischen Jäger und Sammler von kulturell überlegenen, Landwirtschaft treibenden Anatoliern integriert und genetisch zurückgedrängt wurden. Tatsächlich verschmolzen beide Gruppen zu einer neuen, kastenartig geschichteten Gesellschaft, in der die Jäger eine kriegerische Oberschicht stellten. Wir erkennen in diesem Prozeß zugleich ein Muster für die Genese zahlreicher weiterer Kulturen in den nachfolgenden Jahrhunderten und Jahrtausenden, außerdem den Ursprung für das Phänomen „Aristokratie“, das uns in der Geschichte immer und überall begegnet. Noch im Mittelalter war das Jagdrecht ein Privileg des europäischen Adels.

    Es gibt gegenwärtig weitere Veröffentlichungen über die Megalithzeit, die in dieselbe Richtung weisen. Wir werden das Thema also bald wieder aufgreifen.

    Quelle: Megalithic tombs in western and northern Neolithic Europe were linked to a kindred society

    https://www.pnas.org/content/116/19/9469?fbclid=IwAR21MqrPIa1M2U-U3yEFUP-HUhluKuxVPKUSXks3JK7fFJlSARSJNdhc-N4

     


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